Gesundheitsthemen in den Sozialen Medien

 

Was waren das noch für Zeiten, als die rund um „Dr. Google“ aufgetretenen Phänomene unsere praktisch einzige Sorge waren, wenn es um medizinische Informationen und das Internet ging. Aber bereits in dieser „Vorkriegszeit“ des World Wide Web, ohne Social Media Plattformen, waren Falschinformationen und Verschwörungstheorien rund um das Thema Medizin keine Seltenheit. Doch unwissenschaftliche Artikel waren und sind nicht das einzige Problem: Wenn potentielle Patientinnen und Patienten auch auf seriösen Seiten auf Symptom-Suche gehen, wird nicht selten aus „das könnte auf eine Erkrankung hindeuten“ ein panisches „ich habe sicher diese Krankheit“.Bereits seit längerem kennt man den Begriff des „mündigen Patienten“ der durch intensive Recherchen (meist über das Internet) selbst bei Entscheidungen zu seiner Therapie mitwirken will, etwas was in der Ärzteschaft grundsätzlich durchaus auch positiv gesehen wird.

Mehr unter:
Der mündige Patient: https://www.aerzteblatt.de/archiv/78431/Arztgespraech-Der-muendige-Patient-als-Herausforderung

 

Während allerdings bereits das auch für viele Ärztinnen und Ärzte oft eine Herausforderung ist, stelle man sich nun vor, wie problematisch es wird, wenn die (scheinbar) mündigen Patienten sich mit Fehlinformationen und Medizinmythen versorgt haben. Das ist nicht ungewöhnlich, denn im Vergleich zu tiefen Recherchen um reales Wissen zu erwerben, sind Verschwörungstheorien oft eine Möglichkeit komplexe Zusammenhänge durch einfachen Erzählungen zu ersetzen. Trotzdem „weiß“ man plötzlich mehr als sein Arzt, da man ja das neueste Youtube-Video gesehen hat. Kritiker sprechen deshalb oft spöttisch von den sogenannten „Youtube-University Absolventen“.

Die sozialen Medien haben das Thema Medizin und Internet auf ein neue Ebene gehoben. Nun können sämtliche Studien, Erkenntnisse und Behauptungen nicht nur gesucht, sondern auch aktiv geteilt werden. Das können unter Umständen sogar von den Usern selbst publizierte Inhalte, mit oft gefährlichen Empfehlungen, sein. Da ist zum Beispiel die Rede von der „Schwarzen Salbe“, einer alternativmedizinischen Behandlungsmethode, welche sogar Krebs heilen soll. Wieder andere verabreichen selbst bei gefährlich hohem Fieber nur homöopathische „Arzneimittel“ oder verweigern pauschal jegliche Impfungen. Diese unwissenschaftlichen und gesundheitsgefährdenden Inhalte verbreiten sich wie alle Desinformationen und Verschwörungstheorien über einschlägige Social Media Kanäle und durch die teilenden User auch darüber hinaus.

Zur Verbreitung falscher „Ratschläge“ kann es auch kommen, wenn User nicht zwischen anekdotischer Evidenz und klinischen Studien unterscheiden können. Unter anekdotischer Evidenz versteht man Sätze wie „Bei meinem Nachbarn hat das Globuli super gewirkt“, „Ich hatte Covid-19 und fast keine Symptome, die Krankheit muss also harmlos sein.“ oder „Er hat bis 90 geraucht und nie gesundheitliche Probleme gehabt“. Auch die Diskussion rund um Arzneimittel und die damit verbundene Pharmaindustrie hat längst den Pfad der objektiven oder gar konstruktiven Kritik verlassen. Die Mär einer „Pharma-Mafia“, welche sich gegen die Bürger verschworen hat, hat nicht selten zur Folge, dass Patienten wichtige Behandlungen nicht durchführen und zu esoterischen Wundermitteln greifen.

Was können positive Effekte von Social Media sein?

 

– Verteilung und Verbreitung evidenzbasierter Informationen

-Social Media als Analyse-Plattform für die Forschung: (systematische Untersuchung von Erfahrungsberichten für Rückschlüsse zum Beispiel auf seltene Erkrankungen)

– Empfehlungen zur Prävention, zum Beispiel bei Pandemien, können rasch verbreitet werden

– die Sozialen Medien erleichtern „Social Distancing“, da sie Kommunikation über große Entfernungen ermöglichen

– International vernetzte wissenschaftliche Arbeit ist in Zeiten digitaler Kommunikation so effizient möglich wie nie zuvor

Das Fachjournal „Journal of Medical Internet Research“ fasst in einer Studie die positiven Effekte folgendermaßen zusammen: „The main findings revealed that the use of social media platforms had a significant positive influence on public health protection against COVID-19 as a pandemic. „

Quelle: https://www.jmir.org/2020/8/e19996/

Negative Effekte der Sozialen Medien auf die öffentliche Gesundheit

– Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien
– Zweifel an evidenzbasierter Medizin reduziert die Compliance (Therapietreue) der Patienten
Eventuell kann es zu Panikreaktionen kommen
Digitale Arztbesuche sind in einigen Fällen umstritten (Persönlicher Kontakt fehlt)

Die Studie „Fake News and Covid-19 in Italy: Results of a Quantitative Observational Study“ im International Journal of Environmental Research and Public Health setzte sich exemplarisch mit dem Thema Desinformation und Covid-19 in Italien auseinander. In der Studie wurden auch die konkreten Falschinformationen und ihre Häufigkeit untersucht, zum Beispiel der Glaube, dass 5G Antennen das Virus verursachen oder man sich mit Knoblauch und Vitamin D schützen könne.

Neben dem sehr starken negativen Impact auf die Gesellschaft weist sie auf die Wichtigkeit von Bildung, speziell Medienkompetenz im Digitalbereich hin:
„In conclusion, we believe that there are two paths to minimize the impact of “fake news”. On the one hand, we must improve health and digital literacy…On the other hand, we must start favoring better informal communication and more organized formal communication. Along these lines, it is hoped that social media companies—arguably some of the most important communication platforms today—will be able to further improve, strengthen, and reinforce their policies against “fake news”.“

Quelle: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7459609/

Was die in der Studie angesprochene Verantwortung von Plattformbetreibern wie Facebook betrifft gibt es bereits eine positive Entwicklung. Speziell im Falle von Covid-19, kann man immer wieder sehen, dass Beiträge als fragwürdig „markiert“ wurden, wie in den Beispielen unten illustriert.

Facebook markierte diesen Beitrag über „toxische Impfungen inklusive Affenzellen“ als Fehlinformation. Verschwörungstheorien haben auch in Österreich gerade im Zusammenhang mit Covid-19 Hochkonjunktur. Knapp ein Drittel der Österreich glaub an Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit dem Corona-Virus, als wichtigste Quelle für Fehlinformationen gilt Facebook.
Mehr unter: https://www.medmedia.at/relatus-pharm/verschwoerungstheorien-umfrage-zeigt-was-oesterreicher-zu-corona-denken/

Immer wieder im Fadenkreuz der Verschwörungsideologen: Der Microsoft Gründer und Philanthrop Bill Gates, der für sein weltweites Engagement für höhere Durchimpfungsraten bekannt ist.

Was kann die Gesellschaft tun?

 

Wie bereits in einer der zitierten Studien angesprochen, ist Gesundheitsbildung, aber auch (digitale) Medienkompetenz (siehe die Arbeit des Zentrums für Social Media Kompetenz) eine wichtige Basis, um die Bevölkerung zu einem gewissen Grad gegenüber medizinischer Desinformation zu „immunisieren“. Dies ist aber schon allein deshalb besonders herausfordernd, weil das Thema hochkomplex ist und sogar vereinzelt Mediziner ihr evidenzbasiertes Handeln für Applaus bei gewissen Zielgruppen eintauschen und dann esoterische oder faktenbefreite Inhalte platzieren.

Zum Teil widersprüchliche Studienergebnisse auch seriöser Institutionen werden von den Medien übernommen und verwirren die Bevölkerung zusätzlich. Speziell bei Ernährungsempfehlungen scheinen sich die Narrative in einigen Bereichen beinahe jährlich zu ändern „Eier ja oder nein?, rotes Fleisch nun doch nicht karzinogen?“ Hier gilt es ganz dringend in das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft zu investieren.

Wichtiger ist auch das bildungspolitische Engagement der seriösen Medizinerinnen und Mediziner, dem Fachpersonal in der Apotheke und nicht zuletzt auch der Lehrkräfte, speziell Biologie sei hier genannt. Die etablierten Medien können ebenfalls eine wichtige und positive Rolle spielen, um genau diesen seriösen Vertretern eine Bühne zu bieten. Leider sind aus einem falschen Neutralitätsverständnis heraus bei manchen Diskussionsrunden und Panels, Personen mit absurden Positionen eingeladen. Während man bei politischen Diskussionen darauf achten sollte, dass die Positionen einem demokratischen Grundkonsens folgen, sollte dieser Konsens bei Gesundheitsthemen immer die Naturwissenschaft sein.

Dietmar Pichler ist Programmdirektor des Zentrums für Social Media Kompetenz, Trainer für Medienkompetenz und war über viele Jahre in der Gesundheitskommunikation tätig.